"Menschenrassen" - Meyers Konversationslexikon 1904
Eng mit der früher oft praktizierten „staatlichen“ Zensur ist bekanntlich die sie heute ablösende „Politische Korrektheit“ verwandt, die – zwar nicht kodifiziert – zur Selbstzensur anregt, in dem sie z. B. versucht, bestimmte, entweder zu Recht oder zu Unrecht disqualifizierte Wörter aus dem Wortschatz zu verbannen. Das ursprüngliche Ziel war es, der verbalen Diskriminierung von Minderheiten durch Einführung einer neutralen Sprache entgegenzuwirken – ein durchaus löbliches Unterfangen, wenn es nicht zu einer ideologischen Waffe „entartet“ (wieder so ein politisch inkorrektes Wort!) wäre. So ist es sicherlich richtig und damit nicht verkehrt, in offiziellen Schriften „Zigeuner“ mit dem korrekten Begriff „Sinti und Roma“ zu bezeichnen. Wenn aber ein „Zigeunerschnitzel“ (hinter dem sich ja eine konkrete Vorstellung verbirgt und sicherlich nicht ein „Schnitzel aus dem Fleisch eines Zigeuners“) ab sofort „politisch korrekt“ nur noch „Balkanschnitzel“ (oder, wie nun seit 2013 hochoffiziell in Hannover, „Paprikaschnitzel“) genannt werden darf, dann wird es nur noch lächerlich. Dabei soll nicht verhehlt werden, dass das Streben nach politischer Korrektheit durchaus Phantasie und Kreativität fördert und sich auf diese Weise – insbesondere für Germanisten – völlig neue Tätigkeitsfelder erschließen lassen. Und da gibt es wahrhaft große Herausforderungen. Nehmen wir z. B. die „Klofrau“ – wir kennen sie alle, die wir ab und an die von ihr überwachten, betreuten und in hygienisch einwandfreien Zustand gehaltenen Örtlichkeiten aus rein biologischen Gründen aufsuchen müssen. Uns würde nie der Gedanke kommen, dass dieser Begriff den Beruf oder die ihn ausübende Person irgendwie diskriminiert. Andererseits ist es aber durchaus wahr, dass unter einigen Mitmenschen (meist beruflich „höhergestellten“, die meinen, dass ihre „Tätigkeit“ irgendwie „wertvoller“ sei, da besser bezahlt) dieser Begriff zur Abqualifizierung von Tätigkeiten geringeren sozialen Prestiges verwendet wird. Und um dieser Minderheitenmeinung Paroli zu bieten, haben Leute, die sonst nichts Vernünftiges den Tag über zu tun haben, einmal den Begriff der „Toilettenpflegerin“ und, natürlich, des „Toilettenpflegers“ (zusammengefasst mit „Gender Gap“ „Toilettenpfleger_innen“ - man schreibe mal "Hebamme" mit "Gender Gap") erdacht, um zumindest erst einmal eine Geschlechtergleichberechtigung zu erreichen - das hehre Ziel des Wissenschaftszweiges „feministischer Sprachforschung“. Aber hier steckt leider immer noch das üble Wort „Toilette“ drin. Doch auch hier wussten die Fachleute der deutschen Sprache schnell Abhilfe: „Toilettenpfleger_innen“ sind nämlich ganz neutral in Wahrheit facility manager, die im „McClean“ eines städtischen Hauptbahnhofes oder abseits einer Hotel-Lobby ihrer nützlichen Tätigkeit nachgehen. Da ist es kein Wunder, das normale Menschen eine „politisch korrekte“ Sprache immer mehr mit einer lächerlichen Euphemisierung sowie einer dogmatischen, intoleranten Politik assoziieren.
Das ganze Elend ging übrigens mit dem Wort „Neger“ los, der uns ältere Semester alle noch als Quengelware beim Bäcker in Form des „Negerkusses“ in Erinnerung ist (politisch korrekt ist hier die Bezeichnung „Schokokuss“). In Grimm’s Wörterbuch lesen wir dazu „NEGER, m. der schwarze, der mohr, aus franz. négre (lat. niger)“. Es handelt sich um eine seit Beginn des 18. Jahrhunderts akzeptierte Bezeichnung für Menschen aus Afrika, deren Haut nun mal (aus heute leicht nachvollziehbaren Gründen) „schwarz“ ist. Im Aufkommen diverser Rassentheorien, die angebliche Unterschiede zwischen „minder bemittelten“ niederen Rassen (alle, die keine weiße Hautfarbe hatten) und einer „höher bemittelten“ Herrenrasse thematisierten, um z. B. koloniale Ausbeutung oder die Sklavenhaltung in den amerikanischen Südstaaten zu begründen, entwickelte sich von der Semantik her das Wort „Neger“ (oder, in den USA „Nigger“) immer mehr zu einem rassistisch motivierten Schimpfwort. Dem versuchten progressive Kräfte gegen Ende des 20. Jahrhunderts durch eine neue Begrifflichkeit entgegen zu treten: aus „Neger“ wurden „Schwarze“. Aber irgendwann war auch die Bezeichnung „Schwarze“ negativ konnotiert, so dass man nun das Wort „Farbige“ ins Spiel brachte. Nur halten sich nun mal dunkelhäutige Menschen selbst nicht für „bunt“ wie Aras, weshalb als neuer „Vorschlag“ „Afro-Amerikaner“ in das Wörterbuch der politically correctness Einzug hielt. Aber leider war der typische „Afrikaner“ kein „Afro-Amerikaner“, was den Bedeutungsumfang dieses Begriffes doch zu stark einengte.
Und hier offenbart sich schon das Dilemma einer politisch korrekten Sprache. Wenn Wörter mit negativer Konnotation durch „neue“ ersetzt werden, dann werden diese „neuen Wörter“ im Laufe der Zeit selbst auch eine negative Konnotation annehmen, solange sich das soziale Umfeld bzw. die sozialen Verhältnisse um den Begriff herum nicht ändern. Sie müssen dann wiederum durch einen noch „neueren Begriff“ ersetzt werden … ad infinitum (könnte man spaßeshalber sagen – „Ausländer“ – „Menschen mit Migrationshintergrund“ – „Menschen mit Zuwanderungsgeschichte“ - …, oder, ein anderes Beispiel: „Rabauken“ – „schwer erziehbare Kinder“ – „verhaltensgestörte Kinder“ – „verhaltensauffällige Kinder“ – „verhaltensoriginelle Kinder“ - … ). Der erfahrene Sprachkundler spricht hier von einer „Euphemismus-Tretmühle“, die, ist sie erst einmal losgetreten, so leicht nicht wieder anzuhalten ist. Niemand, aber auch niemand (auch die Betroffenen nicht) würde sich über Wörter wie „Neger“ oder „Zigeunerschnitzel“ aufregen oder sich diskriminiert fühlen, wenn die gesellschaftliche Wirklichkeit keinen Platz für Rassismus, Sexismus oder anderen Arten von Diskriminierung hätte. Denn mit Euphemismus (also dem „Schönreden“ von Problemen) leistet man keinen echten Beitrag zu deren Lösung.
Wenn es z. B. in der Gesellschaft unisono wäre, dass es in Wirklichkeit keine „Menschenrassen“ gibt (was unter Biologen sowieso Konsens ist) und insbesondere die Hautfarbe nur eine den ökologischen Gegebenheiten angepasste phänotypsche Ausprägung bestimmter Gene ist (die moderne Genetik kann beweisen, dass genotypisch ein „schwarzes“ und ein „weißes“ Individuum unter Umständen miteinander näher verwandt sein können als zwei x-beliebige „weiße“ oder zwei x-beliebige „schwarze“ Individuen), dann wäre halt „Roter“, „Weißer“, „Gelber“ oder „Schwarzer“ (Neger) nur eine neutrale Begrifflichkeit für diesen Fakt und man könnte sich die andauernde Umdeutung von Begriffen ersparen. Besser wäre es, man würde sich bemühen, die gesellschaftlichen Verhältnisse entsprechend zu ändern (z. B. durch Investitionen in Bildung und Erziehung). Denn political correctness ist bei näherer Betrachtung nichts anderes als eine Verschleierung der Wirklichkeit, um sie besser aussehen zu lassen als sie ist und um Scheinprobleme zu schaffen, über die sich dann unter Ausklammerung der wirklich wichtigen gesellschaftlichen Probleme trefflich streiten lässt. Sie lässt sich aber auf Dauer nicht aufrechterhalten, denn es gilt immer noch der alte Satz von Abraham Lincoln:
„Man kann alle Leute einige Zeit und einige Leute alle Zeit, aber nicht alle Leute alle Zeit zum Narren halten.“
Dabei bedeutet die Redewendung „zum Narren halten“ von der ursprünglichen Bedeutung her eigentlich nur „jemanden als Hofnarren“, d. h. als „Spaßmacher“ zu halten, der sich gegenüber seinem „Halter“ gewisse Freiheiten parodierender Art erlauben darf, die anderen schnell zum Verhängnis werden können. Aber das ist schon wieder ein anderes Thema...
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