200 Jahre Evolution des Fahrrades - von der Draisine zum E-Bike...

1817
2017

Etwas völlig anderes als Sinnfreiheit ist bekanntlich die Bewegungsfreiheit - und zwar im körperlichen Sinn. Das häufige Fehlen von Letzterer beim modernen (Stadt-) Menschen hat eine Erfindung wieder zu Ehren kommen lassen, welches dem Autofahrer lange Zeit verhasst war, das Fahrrad. Die Verkaufszahlen (ca. 4 Millionen im letzten Jahr allein in Deutschland) lassen im Vergleich dazu die Automobile alt aussehen. Mit der Einführung des Mountainbikes in den 1990er Jahren hat seine Beliebtheit stetig zugenommen und zwar sowohl als Gebrauchsgegenstand (Fahrt zur Arbeit, innerstädtisches Verkehrsmittel), als auch als Sportgerät und Fortbewegungshilfe im Freizeitbereich. Es ist in seiner klassischen Form technisch gesehen weitgehend ausgereizt, in vielen Details „Hightech“, und vom energetischen Standpunkt her (Reichweite und Geschwindigkeit bei einer durchschnittlichen Antriebsleistung von ~150 W) unerreicht. Es dürfte also nicht uninteressant sein, etwas über seine nun mehr als 200-jährige Geschichte zu erzählen, die sich wahrscheinlich bis zum Jahr 1801 zurückverfolgen lässt. In diesem Jahr soll angeblich ein russischer Bauer aus dem Ural mit Namen Jefim Artamanow so etwas wie einen „Trittroller“ am Zarenhof vorgeführt haben, was sich aber nicht mehr eindeutig belegen lässt. Die eigentliche „Erfindung“ eines zweirädrigen Gefährts geht auf den badischen Forstbeamten Karl Friedrich Christian Ludwig Freiherr Drais von Sauerbronn (1785-1851) zurück, der damit im Jahre 1817 eine erste Ausfahrt unternahm. Sein von ihm „Veloziped“ benanntes Laufrad wurde dabei von seinen Zeitgenossen eher als Kuriosum angesehen als eines ernsthaften, einer Entwicklung fähigen Personenbeförderungsmittels. So schrieb ein Jahr nach dieser denkwürdigen Ausfahrt über die nun bereits „Draisine“ genannte Fortbewegungsmaschine eine Pariser Postille 

Diese Maschine wird nicht von großem Nutzen sein; denn man kann sich ihrer nur in gut erhaltenen Alleen oder Parks bedienen... Das Fahrzeug ist gut, um Kindern im Garten zum Spielen zu dienen...“ 

Im gewissen Sinne hatte hier der Autor sogar Recht, denn so etwas, was wir heute als vernünftige Straße bezeichnen würden, gab es zu jener Zeit nur ganz, ganz vereinzelt. Aber von Drais hatte trotzdem den Nerv der Zeit mit seiner Erfindung getroffen und so begannen sich eine Vielzahl weiterer „Erfinder“ und Techniker damit zu beschäftigen, wobei einige unter ihnen ein paar wahrlich abenteuerliche Konstruktionen ablieferten. 

Das uns heute „schlechte Wege“ beim Radfahren nicht sonderlich mehr stören (höchstens ärgern, es sei denn, man fährt Rennrad), liegt an der Erfindung des luftgefederten Reifens (Pneu, Patent 1888). Zuvor sahen „Fahrradräder“ wie „Kutschenräder“ aus, d. h. sie hatten eine Holzfelge, die zu deren Zusammenhalt und Schutz mit einem Metallreif ausgestattet war. Die erste wichtige Frage, mit der sich die Ingenieure zu beschäftigen hatten, war die Frage a) der Antriebstechnik und b) der Größe der Räder. Dass das Antriebsprinzip, welches von Drais für seine „Draisine“ genutzt hat, nicht ideal ist, kann jeder nachvollziehen, dem einmal bei einer Radtour die Kette gerissen ist. Die erste Idee war deshalb, das Vorderrad mit einem Pedalantrieb auszustatten. Das erforderte ein möglichst großes Vorderrad und ein um einiges kleineres hinteres Stützrad. Die Vorderradgröße war dabei durch die Sattellage begrenzt, denn es musste ja eine optimale Kraftübertragung auf die Pedalenkurbel gewährleistet werden. Eine Pedalenkurbelumdrehung war in diesem Fall gleich einer Radumdrehung und der dabei zurückgelegte Weg entsprach einem Radumfang. Damit ließen sich im Vergleich zum Veloziped höhere Geschwindigkeiten erreichen und es war auch robuster gegenüber Wegunebenheiten. Dieses als „Hochrad“ bezeichnete Fahrrad kam um 1845 auf und erfreute sich einer gewissen Beliebtheit, bis es von besseren Konstruktionen abgelöst wurde. „Evolutionsbiologisch“ gesehen wurde dabei das Vorderrad immer größer, das Hinterrad immer kleiner, das „Aufsitzen“ immer schwieriger und die Folgen von Unfällen für den Fahrer immer bedrohlicher. Schlicht, dass Hochrad war in eine evolutionäre Sackgasse geraten, ähnlich wie am Ende der letzten Eiszeit der amerikanische Säbelzahntiger. Während letzterer bekanntlich ausgestorben ist, wird das Hochrad heute in geringen Stückzahlen wieder produziert und bei Schauveranstaltungen gern als Blickfang genutzt.



Die ersten Fahrräder, die schon in etwa wie unsere heutigen Fahrräder aussahen, wurden etwa ab 1861 von dem Franzosen Pierre Michaux (1813-1883) gebaut. Auch sie besaßen noch einen Vorderradpedalantrieb. Das größte Manko war jedoch das schwierige Lenken, da der Pedalantrieb direkt am Vorderrad das Vehikel instabil machte. Ein Amerikaner, ein gewisser Hemmings, sagte sich um 1869 - warum zwei Räder, wenn ein Großes auch geht, und erfand das erste Monocycle. Hierbei sitzt der Fahrer im Inneren eines größeren Rades, welches aus zwei, durch Speichen verbundenen Ringen besteht. Der innere Ring dient dabei quasi als Führungsschiene für das eigentliche Fahrgestell mit Sattel und dem Antriebsmechanismus, der aus einem Antriebsrad mit Pedalen bestand (die Patentliteratur kennt hier eine Vielzahl von Antriebsvarianten bis hin zum Motor). Eine Lenkung gab es ebenso wenig wie eine Bremse, was vom Fahrer einen gewissen Mut abverlangte. Trotzdem erreichte die Kunde vom „Flying Yankee Veloziped“ auch Europa, wo die „Leipziger illustrierte Zeitung (Jahrgang 1882)“ wie folgt darüber berichtet hat: 

Wenngleich das neue Vehikel in Folge des bedeutenden Durchmessers des äußeren Rads nicht geeignet erscheint als Verkehrsmittel praktische Dienste zu leisten, so bietet dasselbe doch den Freunden des Sports eine interessante Übung und ist als anziehendes Schauspiel namentlich für die, welche mit den Gesetzen der Mechanik wenig vertraut sind, wohl auch einer industriellen Verwertung fähig.“ 

Solch ein Rad hat sich natürlich nicht durchsetzen können, aber das Prinzip hat durchaus überlebt, wie einige exotisch anmutende Motorräder (sogenannte Monowheels) beweisen. 


Richtig brauchbar wurde das Fahrrad jedoch erst mit der Einführung der Fahrradkette und des Hinterradantriebs, was ungefähr um 1885 (John Kemp Starley) geschah. Damit war im Prinzip das „Niederrad“ (zwei gleich große Räder) erfunden, so wie es sich bis heute bewährt hat. Zuerst Vollgummi- dann Luftbereifung (1888, John Boyd Dunlop) ließen den Komfort wachsen und auch die Gangschaltung (zuerst Nabenschaltung, dann ab 1930 die Kettenschaltung) machten schließlich das Fahrrad zu einem viel benutzten und ernsthaften Massenverkehrsmittel. 

„Radrennen“ gibt es seit 1869, Radfahren als olympische Disziplin seit 1896. Die berühmte „Tour de France“ wird - mit kriegsbedingten Unterbrechungen - seit 1903 durchgeführt. Der „Stundenweltrekord“ mit einem Rennrad liegt derzeit (2015) bei 54,5 km, bei vollverkleideten Liegerädern bei 91,55 km. Beim Fahren im Windschatten wurden bereits Geschwindigkeiten bis zu 268 km/h allein mit Muskelkraft erreicht. Das allein unterstreicht, dass das Fahrrad „die“ Erfindung im Fahrzeugsektor ist, welche die Antriebsenergie am effektivsten in Bewegungsenergie umzusetzen vermag. Zur Erinnerung, die durchschnittliche Antriebsleistung liegt bei ca. 150 W (=0,2 PS). Christopher Froomes, der Sieger der Tour de France 2015, erreichte „am Berg“ eine Antriebsleistung von etwa 425 W, was schon in der Grenze des gerade noch Menschenmöglichen ist. 

Die Innovation des neuen Jahrtausends in Bezug auf Fahrräder ist deren Antriebsleistung künstlich zu erhöhen, und zwar durch batteriebetriebene Elektromotoren. Solche „Pedelec’s“ (Pedal Electric Cycle) oder E-Bikes erfreuen die Fahrradhändler mit stetig steigenden Umsatzzahlen, denn ein bei Bedarf zuschaltbarer Nabenmotor hilft insbesondere auch älteren Menschen fahrradtechnisch mobil zu bleiben (hier kommt mir die alte Radfahrerweisheit in den Sinn: „Man merkt am besten, wie es mit einem bergab geht, wenn man bergauf fährt...“).

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen