"Fake news" und das Berufsbild des "Zensors"


„Lieder“, aber auch Gedichte, Flugschriften und natürlich Bücher waren in der Geschichte oftmals durchaus probate Mittel der Auseinandersetzung zwischen Herrschern und Beherrschten, was im 16. Jahrhundert zu dem neuen und nun wieder auferstandenen Berufsbild des „Zensors“ geführt hat und der oftmals bei der Polizeibehörde angesiedelt war (heute wird er zeitgemäß "outgesourct, z. B. an die "Amadeo Antonio-Stiftung", die entsprechende Expertise vorhält). Die Aufgabe des Zensors bestand (und besteht neuerdings wieder) darin, für die Öffentlichkeit bestimmte Druckschriften (heute in der Regel Webinhalte) ihrem Inhalt nach zu überprüfen, ob die darin enthaltenen Informationen oder Meinungsäußerungen den jeweils herrschenden Gesetzen konform gehen oder nicht, ob sie ethisch vertretbar sind oder nicht oder ob sie einfach „höhergestellten Personen“ auf den Senkel gehen würden oder nicht. Damit sind natürlich noch lange nicht alle Gründe aufgeführt, die zu einer „Zensur“ führen können. Und auch heute ist, wie bereits erwähnt, dieses Thema Dank H.  M. durchaus wieder ein Thema, obwohl diese Berufsbezeichnung (und offiziell die damit verbundene Tätigkeit) zumindest in Deutschland bis dato offiziell nicht mehr geführt bzw. ausgeführt wird. 

Zwar steht im entscheidenden Titel unseres Grundgesetzes „Zensur findet nicht statt“, aber dafür hat politische Korrektheit und „Selbstzensur“ Einzug in die Medienpraxis gehalten. Und damit kein Missverständnis entsteht, die „Zensur“ ist nicht unbedingt an den Beruf des „Zensors“ gebunden. Das Verbot missliebiger Schriften ist so alt, wie es „missliebige“ Schriften gibt. Besonders hervorgetan hat sich hier die katholische Kirche mit ihrem „Index Librorum Prohibitorum“, dem „Index der verbotenen Bücher“, welches 1559 zum ersten Mal öffentlich gemacht und erst 1966 wieder abgeschafft wurde. Aber darum soll es hier nicht gehen.

Es soll eher um die „Kleingeister“ gehen, die das Geschäft des „Zensierens“ quasi amtlich durchführten und dabei zwangsläufig auf „große Geister“ stießen, denen sie geistig nicht im Geringsten gewachsen waren. Die Beweise dafür haben sie in den Texten hinterlassen, die von ihnen mit viel Akribie und durchaus auch Phantasie verunstaltet wurden. 

Fangen wir mit einem zweifellos „großen Geist“ an, mit Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) und seiner Tragödie „Faust I“. Hier hatten es dem Zensor insbesondere die „jugendgefährdenden“ Verse angetan. Dabei schwelgte er manchmal selbst in Dichtkunst, wie folgende Beispiele beweisen: So heißt es bei Goethe „Ach, kann ich nie – Ein Stündchen ruhig dir am Busen hängen, - und Brust an Brust und Seel an Seele drängen?“. Was, eine ganze Stunde am „Busen“ hängen? Nein, das geht beileibe nicht – also wurde der Vers gestrichen und flugs vom Zensor umgedichtet: „Ach, kann ich nie – Ein Stündchen ruhig bei dir sein, - Doch ungestört wir beide nun allein, - Man hat sich doch so manches Wort zu sagen, - das keine Zeugen will!“. 

Wenn es dann auch noch um kirchliche Dinge ging, da lief der Zensor in Höchstform auf: So liest man in der bekannten Schülerszene Mephistos Ratschlag „Doch Euch des Schreibens ja befleißt, - Als diktiert‘ Euch der Heilig‘ Geist!“, was so natürlich keinesfalls stehenbleiben durfte: „Doch Euch des Schreibens ja befleißt, - Weil dies allein studieren heißt.“ 

Das „Zensieren“ durchaus auch eine intellektuelle Leistung darstellt, bewies ein Zensor bei der Entschärfung des Spottlieds „Es saß ein Ratt im Kellernest“, dessen erste Strophe vollständig lautet „Es saß ein Ratt im Kellernest, - Lebte nur von Fett und Butter, - Hat‘ sich ein Ränzlein angemäst’t – Als wie der Doktor Luther“. „Dr. Luther! – nein, das geht gar nicht“, muss es wie ein Blitz durch das Kleinhirn des Zensors gezuckt sein. Aber nach einigen Stunden Kopfzerbrechen hatte er die Lösung: „Es saß ein Ratt im Kellernest, - Lebte nur von Fett und Butter, - Hat‘ sich ein Ränzlein angemäst’t – Wie der gelehrteste Chinese.“ Heute würde in manchen Weltgegenden auch die Zeile „Uns ist ganz kannibalisch wohl – Als wie fünfhundert Säuen!“ (aus dem „Flohlied“) mit hoher Wahrscheinlichkeit als bedenklich eingestuft und das dazugehörige literarische Werk zumindest als „harām“ qualifiziert, unter Umständen vielleicht sogar gleich in Gänze verboten werden, obwohl bereits eine vor ~200 Jahren zensierte Version existiert, an der man an der kompromittierten Stelle „Tralleral-la, - Tralleralla!“ lesen kann. Aber da das ja auch irgendwie von einer Art Lebensfreude kündigt, dürfte selbst das noch einer Fatwa wert sein… Übrigens, da fällt mir gerade ein, Herr Erdogan hat in seinem Sultanat erst vor wenigen Tagen das Lehren der "Darwinschen Evolutionsbiologie" verboten. Jetzt müssen dort offenbar die Biologielehrbücher teilweise geschwärzt werden...

Ein Zensor war normalerweise so etwas wie eine "achtungsgebietende Amtsperson", und die hatte sich, wie jede andere Amtsperson auch, an Anweisungen zu halten. Meist waren sie aber so allgemein formuliert, dass der Zensor einen großen Spielraum in deren Auslegung hatte. Der deutsche Literaturwissenschaftler Heinrich Hubert Houben (1875-1935) zitiert z. B. einen Erlass der österreichischen und erzkatholischen Kaiserin Maria Theresia (1717-1780), welcher detaillierte Direktiven über die Behandlung protestantischer und antikatholischer Schriften sowie deren Verfasser enthält. Er schreibt dazu: 

Die Verfasser protestantischer und antikatholischer Schriften erwartet Verbannung und Kerker. Schon der Besitz lutherischer, ketzerischer, überhaupt unkatholischer Schriften war aufs strengste verpönt; sie standen außerhalb allen Eigentumrechtes, jeder Geistliche durfte sie konfiszieren, wo er sie fand, jeder Privatmann war bei Strafe verpflichtet, anzugeben, wo immer er sie gesehen hatte. Wer ein Buch kaufte, musste es innerhalb von vier Wochen seinem Pfarrer zur Prüfung vorlegen, sonst erhielt er 3 Gulden Strafe, die sich im Wiederholungsfall empfindlich steigerte. Ein Drittel der Strafgelder fiel dem Denunzianten zu; daher stand die niederträchtigste Spionage in voller Blüte. Hausdurchsuchungen waren an der Tagesordnung. Die Koffer der Reisenden wurden auf den Zollämtern durchsucht, alle bedenklichen Bücher weggenommen, verbotene verbrannt. Verkleidete Beamte der geistlichen Bücherpolizei besuchten als harmlose Kunden die Buchläden, schlichen sich in das Vertrauen der Händler und drangen in sie, ihnen verbotene Bücher zu verschaffen; ließen die Buchhändler sich überreden, so entdeckten sich die Spitzel als Polizisten, beschlagnahmten die Werke und nahmen die Verkäufer in Strafe.“ 

Wie man sieht, hatte man sowohl als Autor, als Buchhändler und selbst als Leser schlechte Karten, wenn man gegen die Zensurbehörde opponierte. Die „Zensur“ ist deshalb bis heute ein probates Mittel der Ausübung von Herrschaft. Andererseits war dasjenige, was gerade in früheren Zeiten „zensiert“ wurde, aus heutiger Sicht eher peinlich. Die schönsten Beispiele stammen dabei aus der „Theaterzensur“. So machte ein Zensor in dem bekannten Stück „Kabale und Liebe“ (von Friedrich Schiller) den Hofmarschall von Kalb zum „Oberkleiderwart“, da ja in der Auffassung der Zeit ein „Marschall“ niemals ein Intrigant sein kann. Schiller hatte eh Zeit seines Lebens mit Zensoren zu kämpfen, denen sein Werk nicht „politisch korrekt“ genug war, um es unverhunzt der Allgemeinheit vorlegen zu können. Nehmen wir nur „Die Jungfrau von Orleans“. Hier hatte es die Heldin des Stücks, Agnes Sorel, den Zensoren angetan, denn Schiller führte sie als Mätresse des französischen Königs Karl VII. ein (was sie natürlich auch war). Aber das dürfte nach Meinung der Zensurbehörde nicht sein, so dass sie in der zensierten Version dieses Dramas als rechtmäßige Gemahlin des Königs zu erscheinen hatte. Und so ließen sich noch viele Beispiele finden.

Aber die Praxis der Zensur, die zu einem nicht unwesentlichen Teil auf die Zuarbeit von Spitzeln und Denunzianten angewiesen war, mussten sich selbst mit „Gasthäusern“ herumschlagen, wenn deren Reklametafeln nicht den Zensurrichtlinien zu entsprechen vermochten. So erging es beispielsweise dem 1816 in Paris eröffneten Gasthaus „Boeuf à la mode“, von dem berichtet wird, dass es am Tag seiner Eröffnung mit einem Schild versehen war, auf dem man werbewirksam einen mit einem Schal und einem Strohhut aufgeputzten Ochsen sehen konnte. Was folgte, war eine Anzeige eines Polizeispitzels, der einen ganzen Rattenschwanz an Folgetätigkeiten, Untersuchungen, Rücksprachen (bis hin zum Polizeiminister!) und sogar eine geheime Inaugenscheinnahme des betreffenden Schildes zur Folge hatte. Denn die Anzeige des Spitzels hatte es in sich: 

Der auf dem Schild dargestellte Ochse ist bekanntlich das Symbol des Gemästetseins. Der Schal, der ihn ziert, ist von roter Farbe, der Schmuck auf dem Hut besteht aus weißen Federn und blauen Bändern. Von seinem Hals hängt ein Band samt einer Verzierung ähnlich dem Orden vom „Goldenen Vlies“, der von Fürsten getragen wird. Der Hut soll offensichtlich die Krone darstellen und ist im Begriff, herunterzurutschen. Diese Anspielungen dienen zweifellos als Beweis dafür, dass jenes Aushängeschild nichts anderes ist als eine niederträchtige Karikatur von der Person Ihrer Majestät.“ 

– hier Ludwig XVIII. Für die Zensurbehörde spricht in diesem Fall, dass sie nach der geheimen Inspektion (man vermutet in Verbindung mit einem Besuch des Gasthofs) von einer weiteren Verfolgung der Angelegenheit Abstand genommen hat. Das Restaurant, in Versailles gelegen (an der Rue de la Paroisse), existiert übrigens heute noch und besitzt einen ausgezeichneten Ruf. 

Eng mit der „staatlichen“ Zensur ist die sie heute ablösende „Politische Korrektheit“ verwandt, die – zwar nicht kodifiziert – zur Selbstzensur anregt, in dem sie z. B. versucht, bestimmte, entweder zu Recht oder zu Unrecht disqualifizierte Wörter aus dem Wortschatz zu verbannen. Das ursprüngliche Ziel war es, der verbalen Diskriminierung von Minderheiten durch Einführung einer neutralen Sprache entgegenzuwirken – ein durchaus löbliches Unterfangen, wenn es nicht zu einer ideologischen Waffe „entartet“ (wieder so ein politisch inkorrektes Wort!) wäre. So ist es sicherlich richtig und damit nicht verkehrt, in offiziellen Schriften „Zigeuner“ mit dem korrekten Begriff „Sinti und Roma“ zu bezeichnen. Wenn aber ein „Zigeunerschnitzel“ (hinter dem sich ja eine konkrete Vorstellung verbirgt und sicherlich nicht ein „Schnitzel aus dem Fleisch eines Zigeuners“) ab sofort „politisch korrekt“ nur noch „Balkanschnitzel“ (oder, wie nun seit 2013 hochoffiziell in Hannover, „Paprikaschnitzel“) genannt werden darf, dann wird es nur noch lächerlich. Dabei soll nicht verhehlt werden, dass das Streben nach politischer Korrektheit durchaus Phantasie und Kreativität fördert und sich auf diese Weise – insbesondere für Germanisten – völlig neue Tätigkeitsfelder erschließen lassen. Und da gibt es wahrhaft große Herausforderungen. Nehmen wir z. B. die „Klofrau“ – wir kennen sie alle, die wir ab und an die von ihr überwachten, betreuten und in hygienisch einwandfreien Zustand gehaltenen Örtlichkeiten aus rein biologischen Gründen besuchen müssen. Uns würde nie der Gedanke kommen, dass dieser Begriff den Beruf oder die ihn ausübende Person irgendwie diskriminiert. Andererseits ist es aber durchaus wahr, dass unter einigen Mitmenschen (meist beruflich „höhergestellten“, die meinen, dass ihre „Tätigkeit“ irgendwie „wertvoller“ sei, da besser bezahlt) dieser Begriff zur Abqualifizierung von Tätigkeiten geringeren sozialen Prestiges verwendet wird. Und um dieser Minderheitenmeinung Paroli zu bieten, haben Leute, die sonst nichts Vernünftiges den Tag über zu tun haben, einmal den Begriff der „Toilettenpflegerin“ und, natürlich, des „Toilettenpflegers“ (zusammengefasst mit „Gender Gap“ „Toilettenpfleger_innen“) erdacht, um zumindest erst einmal eine Geschlechtergleichberechtigung herzustellen - das wahrhaft hehre Ziel des Wissenschaftszweiges „feministischer Sprachforschung“. Aber hier steckt leider immer noch das üble Wort „Toilette“ drin. Doch auch hier wussten die Fachleute der deutschen Sprache schnell Abhilfe: „Toilettenpfleger_innen“ sind nämlich ganz neutral in Wahrheit "facility manager", die im „McClean“ eines städtischen Hauptbahnhofes oder abseits einer Hotel-Lobby ihrer nützlichen Tätigkeit nachgehen. Da ist es kein Wunder, das normale Menschen eine „politisch korrekte“ Sprache immer mehr mit einer lächerlichen Euphemisierung sowie einer dogmatischen, intoleranten Politik assoziieren.

Und hier offenbart sich schon das Dilemma einer politisch korrekten Sprache. Wenn Wörter mit negativer Konnotation durch „neue“ ersetzt werden, dann werden diese „neuen Wörter“ im Laufe der Zeit selbst auch eine negative Konnotation annehmen, solange sich das soziale Umfeld bzw. die sozialen Verhältnisse um den Begriff herum nicht ändern. Sie müssen dann wiederum durch einen noch „neueren Begriff“ ersetzt werden … ad infinitum (könnte man spaßeshalber sagen – „Ausländer“ – „Menschen mit Migrationshintergrund“ – „Menschen mit Zuwanderungsgeschichte“ - …, oder, ein anderes Beispiel: „Rabauken“ – „schwer erziehbare Kinder“ – „verhaltensgestörte Kinder“ – „verhaltensauffällige Kinder“ – „verhaltensoriginelle Kinder“ - … ). Der erfahrene Sprachkundler spricht hier von einer „Euphemismus-Tretmühle“, die, ist sie erst einmal losgetreten, so leicht nicht wieder anzuhalten ist. Niemand, aber auch niemand (auch die Betroffenen nicht) würde sich über Wörter wie „Neger“ oder „Zigeunerschnitzel“ aufregen oder sich diskriminiert fühlen, wenn die gesellschaftliche Wirklichkeit keinen Platz für Rassismus, Sexismus oder anderen Arten von Diskriminierung hätte. Denn mit Euphemismus (also dem „Schönreden“ von Problemen) leistet man keinen echten Beitrag zu deren Lösung. 


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