Lippmann’sche Farbfotografie...


Sie werden vielleicht sagen - was soll dieses mickrige und auch noch reichlich unscharfe Foto einer Blumenvase? Jedes Handy macht mittlerweile bessere Fotos - und wenn nicht, dann gibt es ja noch die digitale Bildbearbeitung zum Aufhübschen... Trotzdem möchte ich auf folgenden, vielleicht etwas unerwarteten Fakt hinweisen: Dieses Foto ist ziemlich genau 112 Jahre vor der Einführung des IPhones entstanden - im Jahre 1895 - zu einer Zeit also, wo auch das AGFA-Verfahren der Farbfotografie (1916) noch nicht erfunden war. Und es handelt sich hier um eine echte Fotografie auf einer echten Schwarz-Weiß-Fotoplatte aus Glas, wie sie Ende des 19. Jahrhunderts in jedem Fotoatelier zum Einsatz kam (Film war damals noch nicht verfügbar). Und hier wurde auch nichts irgendwie nachkoloriert - es ist ein echtes Foto - belichtet - entwickelt und in einem Natriumthiosulfat-Fixierbad fixiert... Und wo kommen dann die Farben her?

Nun ja, im Jahre 1890 hatte ein leider heute weitgehend in Vergessenheit geratener französischer Physiker die Idee, die Rückseite einer feinkörnigen Fotoplatte auf eine spezielle Art und Weise zu präparieren - die ich gleich erläutern werde - mit dem Ergebnis, dass man nach dem Entwickeln der Fotoplatte kein Schwarz-Weiß-Negativ. sondern ein Farbbild vor sich hatte.

Es war der Franzose Gabriel Lippmann (1845-1921), der für diese Idee 1908 den Nobelpreis für Physik (und ganz zu Recht, wie ich meine) erhalten hat (und noch etwas möchte ich hier unbedingt erwähnen, Lippmann war der Doktorvater von Marie Curie (1867-1934) an der Sorbonne, der Entdeckerin des Radiums, die zu den ganz wenigen Menschen gehört, die zweimal mit dem Nobelpreis geehrt wurden). Es handelt sich bei diesem Verfahren um eine spezielle Form der Farbfotografie, welches die Interferenzeigenschaften des Lichts ausnutzt und nicht nur Frequenz und Amplitude wie bei der gewöhnlichen analogen und digitalen Farbfotografie (ja, Lippmann war nicht weit davon entfernt, die Weißlicht-Holografie zu erfinden, wenn er nur eine kohärente Lichtquelle wie einen Laser zur Verfügung gehabt hätte). Seine Idee bestand darin, einfallende und reflektierte Wellen zur Interferenz zu bringen und zwar in der Form, dass sich in dem Spalt zwischen der Deckplatte und der hinteren Glasplatte (dessen Rückseite durch eine Quecksilberschicht spiegelnd gemacht wurde) stehende Lichtwellen ausbilden. An ihren Wellenknoten herrscht Dunkelheit und an ihren Wellenbäuchen "Licht". Dabei folgen Wellenbauch auf Wellenbauch bzw. Wellenknoten auf Wellenknoten im Abstand von jeweils einer halben Wellenlänge. Füllt man jetzt den Spalt mit einer fotografischen Emulsion, wie sie auch in der Schwarzweißfotografie Verwendung findet, dann werden an den Stellen, an denen sich „Wellenbäuche“ befinden, die Silberhalogenidkristalle bevorzugt zu metallischem Silber reduziert. 

Nach der Entwicklung einer solchen „Lippmann-Platte“ erhält man so etwas wie ein extrem komplexes Beugungsgitter. Hält man es gegen eine diffuse weiße Lichtquelle (Sonnenlicht, reflektiert an einer weißen Fläche), dann sieht man eine farbliche Negativaufnahme des entsprechend zuvor aufgenommenen Motivs. Verspiegelt man dagegen die Fotoplatte wieder von hinten mit Quecksilber, dann sieht man ein ausgesprochen hochwertiges Farbbild des Motivs. Da dieses Verfahren aber auch einige entscheidende Nachteile hat (ich möchte hier nur die geringe Empfindlichkeit der aus physikalischen Gründen extrem feinkörnigen Emulsionen nennen – man möchte ja auf Landschaftsaufnahmen auch etwas blauen Himmel sehen), hat es keine weite Verbreitung gefunden. 

Die Entwicklung orthochromatisch und panchromatisch sensibilisierter Emulsionen sowie die Erfindung des Dreischichten-Farbfilms durch Agfa in Deutschland und Kodak in Amerika (einsetzbar etwa ab 1935) machten die Farbfotografie massentauglich und ließ für das Lippmann-Verfahren keinen Platz mehr. Heute gehören „Lippmann-Platten“ zu den wertvollsten Exponaten von Museen, die Fotografien sammeln. So besitzt das Musée de l’Élysée in Lausanne den fotografischen Nachlass Lippmanns‘ in Form von 130 Farbfotografien. Man kann sie im Original leider nicht als Besucher des Museums bewundern, denn sie liegen hinter dicken Mauern und damit sicher in dessen Tresorraum verborgen.

Die Fotografie gehört sicherlich zu den wahrhaft großen Erfindungen der Menschheit. Ohne sie wüsste ich beispielsweise nicht, wie meine Urgroßeltern ausgesehen haben, als sie sich um 1900 in einem „Fotografieratelier“ in Görlitz ablichten ließen.

Nobelpreisträger Gabriel Lippmann - der Weg zur Holografie



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