Das Ozma-Problem


In diesem Artikel soll es um etwas gehen, über das Sie wahrscheinlich noch nie ernsthaft nachgedacht haben - um die beiden Richtungen „rechts“ und „links“. Als Verkehrsteilnehmer und auch sonst im täglichen Leben ist es grundsätzlich wichtig, diese beiden Richtungen als Betrachter genauestens zu unterscheiden – was ja im nüchternen Zustand erfahrungsgemäß auch kein Problem darstellt. Zum Problem wird es erst, wenn man jemand anderen erklären soll, wo rechts und wo links ist – und zwar, wenn der „Andere“ ein „Außerirdischer“ ist, mit dem man nur per Funkkontakt kommunizieren kann und der auch so weit weg ist, dass sich keine gemeinsamen Sternmuster am Himmel identifizieren lassen. Versuchen Sie es einmal! Sie werden schnell merken, dass das ungefähr genauso schwierig ist, wie einem Blinden ohne Bezugnahme auf Beispiele (die er eh nicht sehen kann) den Unterschied zwischen „Rot“ und „Grün“ zu erklären. Dieses Problem hat sogar einen Namen erhalten – es wird Ozma-Problem genannt, nach der Prinzessin, die in Lyman Baum’s Buch „Wonderful Wizard of Oz“ das „Land von Oz“ regiert. „Ozma“ ist aber auch das 1960 von Francis Drake begonnene Unternehmen, mit Hilfe des großen Radioteleskops von Green Bank den Himmel nach Radiosendungen intelligenter Wesen abzusuchen. Und auch diese Benennung ist für den Kenner dieses berühmten Kinderbuches einsichtig, denn in ihm taucht die Figur „Long eared hearer“ auf, ein Wesen, das hunderte Kilometer weit lauschen kann. 

Man könnte nun den „Außerirdischen“ die gängige Erklärung, wie man sie gewöhnlich auch Kindern gibt, mitteilen, die da lautet „Links ist da, wo der Daumen rechts ist“. Aber wie man durch leichtes Nachdenken selbst herausfinden kann, hilft das nicht wirklich weiter. Denn die Aufgabe, die dahinter steckt, besteht ja darin – quasi in einem absoluten Sinn – zu erklären, was unter „Rechts“ und was unter „Links“ zu verstehen ist – und man kann dabei durchaus davon ausgehen, dass die „Außerirdischen“ diese „Richtungen“ kennen und auch benannt haben. Nur ist das „rechts“ oder „links“, was sie vielleicht „osiotun“ nennen? Bis 1956 hatte niemand eine Idee, wie sich dieses Problem lösen lässt. Da entdeckte man im Bereich der Elementarteilchenphysik eine Merkwürdigkeit, die etwas mit Raumspiegelungen zu tun hat. Tsung-Dao Lee und Chen Ning Yang (Nobelpreis 1957) äußerten damals in einer vielbeachteten Arbeit die Vermutung, dass unter gewissen Umständen eine Größe, die man Parität nennt und für die es einen Erhaltungssatz gibt, verletzt werden kann. Oder anders ausgedrückt: Es gibt offenbar physikalische Gesetze, die in einer spiegelverkehrten Welt anders ablaufen als in unserer gewohnten Welt. Aber kann das wirklich sein? Die chinesischstämmige Physikerin Chien-Shiung Wu (1912-1997) dachte sich dazu ein Experiment aus (das „Wu-Experiment) und konnte damit zeigen, dass dem genauso ist.

Jetzt ist es relativ einfach, dem „Außerirdischen“ zu erklären, was wir unter „Rechts“ und „Links“ verstehen. Wir schicken ihnen einfach per Funk eine Bauanleitung des Wu-Experiments hin, mit dem sie das Experiment nachvollziehen und damit herausbekommen können. wo die Richtung, die wir „Rechts“ nennen, bei ihnen ist. Damit ist quasi dieses wichtige Problem der Kommunikationstheorie gelöst. Aber ist das wirklich so? Nimmt man nämlich an, dass ein Spiegel nicht nur Richtungen, sondern auch das, was die Physiker „Ladungen“ nennen (von denen es nicht nur die elektrische Ladung gibt), spiegelt, dann sollte aus der negativen elektrischen Ladung eines Elektrons „hinter dem Spiegel“ die positive Ladung eines Positrons werden. Und dann stellt sich das Wu-Experiment nämlich gleich ganz anders dar. Man muss nämlich jetzt – um die Sache, wo rechts und links bei den Außerirdischen ist, ein für alle Mal zu klären – erst einmal herausbekommen (und zwar ohne hinzufliegen), ob die „Außerirdischen“ aus „normaler“ oder vielleicht aus „Antimaterie“ bestehen. Und somit besteht das Dilemma, welches das Ozma-Problem ausmacht, weiterhin fort.


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