Eine hinreichend fortgeschrittene Technologie... - für Freunde des sowjetischen Films


Das Internet im Allgemeinen und das World Wide Web im Besonderen kann man im Sinn von Arthur C. Clarke (1917-2008) sicherlich als eine „hinreichend fortgeschrittene Technologie“ betrachten, die von Magie nicht mehr zu unterscheiden ist. Arthur C. Clarke war im „Westen“ derjenige, der der Science-Fiction – Literatur zum Durchbruch verholfen hat. Man denke nur an den großen Roman „Odyssey im Weltraum“ von 1968, der auch verfilmt wurde. 

Im „Osten“ war sein Pendant ohne Zweifel Stanislaw Lem (1921-2006), der ein genauso genialer Utopist war wie auch Clarke. Sein berühmtestes Werk ist „Solaris“ aus dem Jahre 1961, das vielen Kennern in der Verfilmung von Andrei Arsenjewitsch Tarkowski (1932-1986) ein Begriff ist. Dass es sich hier um ein außergewöhnliches Werk handeln muss, erkennt man an den mittlerweile drei Verfilmungen und einem halben Dutzend Bühnenstücken, die Teile des Werkes adaptieren. Und natürlich daran, dass es in der DDR 1962 keine Druckerlaubnis erhalten hat. Erst 1983 erschien es dann doch noch im Verlag „Volk und Welt“, nachdem bis dahin schon zwei sowjetische Filmfassungen vorlagen. Dabei gilt die Fassung, die unter Widerständen der große sowjetische Regisseur Andrei Arsenjewitsch Tarkowski 1972 abgeliefert hat, als ein Highlight der Filmgeschichte. Es ist nicht unbedingt ein Film, der es nur auf Unterhaltung abgesehen hat. Seine Bedeutung liegt darin, dass er die Parabel über Tod, Liebe und Auferstehung (die in Lem’s Roman nur ein Nebenzweig darstellt) in stiller, aber überaus beeindruckender Weise umgesetzt hat. Aber auch die US-Verfilmung von Steven Soderbergh mit George Clooney in der Hauptrolle ist eine durchaus gelungene Umsetzung des komplexen Stoffes. Stanislaw Lem war übrigens mit beiden Verfilmungen nicht zufrieden, da sie doch zu sehr von der Romanvorlage abwichen.

Zu "sowjetischen Zeiten" ist in der damaligen Sowjetunion eine große Zahl von Filmen entstanden, die durchaus das Prädikat „Meisterwerk“ verdienen. Ich meine damit nicht nur die vielen Märchenfilme, die die Kindheit vieler DDR-Bürger geprägt und die auch heute noch nicht ihren ganz eigenen Charme verloren haben. Hier soll nur „Abenteuer im Zauberwald“ von 1964 als Beispiel unter Vielen erwähnt werden. Und wer russische Befindlichkeiten verstehen will, der sollte sich unter anderem wieder einmal den Märchenfilm von Alexander Ptuschko (1900-1973) von 1956 „Ilja Muromez“ anschauen. Ich meine in diesem Zusammenhang Filme, die auf eine subtile Art und Weise Gesellschaftskritik üben und es schwer hatten, durch die damalige Zensur zu kommen. Sie wurden meist nur auf diversen Festivals gezeigt und waren so gut wie nicht im DDR-Fernsehen zu sehen. 

Aber auch die russische Geschichte barg immer wieder Themen, denen sich sowjetische Regisseure wie Sergei Fjodorowitsch Bondartschuk (1920-1994, „Krieg und Frieden“, „Waterloo“), Sergei Michailowitsch Eisenstein (1898-1948, „Iwan der Schreckliche“, „Alexander Newski“), Andrei Arsenjewitsch Tarkowski („Andrej Rubljow“, „The Mirror“, „Nostalghia“, „Stalker“) und Elem Germanowitsch Klimow (1933-2003, „Agonia“) widmeten. Dabei will ich die heroischen Kriegsfilme, die mit massivem materiellem Aufwand den „Großen Vaterländischen Krieg“ glorifizierten, gar nicht im Einzelnen nennen. Ich meine eher stille Filme, wie „Abschied von Matjora“ (Elem Germanowitsch Klimow, Larissa Schepitko (1938-1979) aus dem Jahre 1983, „Dersu Usala“ (Akira Kurosawa (1910-1998)) aus dem Jahre 1975 und „Briefe eines Toten Mannes“ von Konstantin Lopuschanski aus dem Jahre 1986. Er ist quasi die sowjetische Antwort auf den Hollywood-Film „The Day After – der Tag danach“ (1983) mit Jason Roberts (1922-2000) in der Hauptrolle. 

Der Film „Briefe eines Toten Mannes“ ist dabei noch weitaus verstörender als „The Day After“. Ich habe den Film 1986 anlässlich des „Festivals des sowjetischen Films“ in Leipzig gesehen, wo ich einen Freund besuchte, der auch die durchaus begehrten Karten besorgt hatte. Was sich dabei eingebrannt hat, war weniger der Inhalt des Filmes, sondern dessen Schluss. Normalerweise beginnen schon mit dem Abspann die ersten Gäste den Kinosaal zu verlassen. Hier mitnichten. Erst als das Licht anging, standen die ersten Gäste auf – und zwar ohne auch nur ein Wort zu sagen. Stumm leerte sich der Kinosaal… Es war der reinste Wahnsinn. Ob der Film auch heute noch derartige Emotionen hervorrufen würde, wage ich indes zu bezweifeln. Ein versehentlicher Atomkrieg (oder ein von der Journaille herbei geschriebener) ist heute offensichtlich kein Thema mehr in der Bevölkerung. Themen sind hier eher „Castor-Transporte“ sowie „genmanipulierte Lebensmittel“, um nur die beiden echten „Highlights“ neben dem noch viel schrecklicheren CO2 zu nennen. Dabei gilt genauso auch heute noch der Satz „Wir sind noch nicht davongekommen“. Die Doomsday Clock steht im Jahre 2017 bei 2 1/2 Minuten vor Zwölf. Diesen Stand hatte sie das letzte Mal im Jahre 1984 zur Zeit des Höhepunktes des atomaren Wettrüstens. Aber niemand scheint das irgendwie zu interessieren. Man denkt, dass der Fortschritt in den Informationstechnologien das zufällige Auslösen eines Atomkrieges irgendwie unwahrscheinlicher machen wird. Aber das ist ein Irrtum. Indem Entscheidungsketten immer mehr automatisiert werden, nehmen im gleichen Maße auch die menschlichen Einflussmöglichkeiten ab.

Das Lehrbuchbeispiel ist mit dem Namen Stanislaw Jewgrafowitsch Petrow verbunden, von dem die Welt erst im Jahre 1998 etwas erfahren hat. Es könnte sein, dass wir ihn unser aller Leben verdanken. 

1983 war das Jahr, als ein sowjetischer Abfangjäger die koreanische Passagiermaschine abschoss, die aus immer noch nicht vollständig geklärten Gründen in den sowjetischen Luftraum eingedrungen war. Alle 269 Insassen der Boeing 747 kamen dabei ums Leben. Damals hatte in den USA Ronald Reagan (1911-2004) und in der Sowjetunion der bereits schwer kranke Juri Wladimirowitsch Andropow (1914-1984) das Sagen. Die politische Stimmung zwischen den Supermächten war aufgeheizt wie schon lange nicht mehr. Zu genau dieser Zeit, am 26. September 1983 (also 26 Tage nach dem Abschuss der Korean Air 007 über Sachalin) schrillten im Kommandostand von Serpuchow-15, der Computerzentrale des satellitengestützten Raketenwarnsystems „Oko“, die Sirenen. An diesem Tag war Oberst Petrow der diensthabende Offizier. Der riesige Bildschirm zeigte den Start einer Interkontinentalrakete auf einer amerikanischen Militärbasis an, registriert vom militärischen Spionagesatelliten Kosmos 1382. In rund 25 Minuten wird sie irgendeine Stadt in der Sowjetunion erreichen. Was jetzt streng nach Vorschrift zu tun ist, war jeden der im Komplex diensthabenden Militärs bekannt. Der Countdown zur Apokalypse begann zu ticken. Aber Oberst Petrow war ein Quereinsteiger, von der Ausbildung her Ingenieur, und er fragte sich, wie wahrscheinlich denn ein Erstschlag mit nur einer Rakete ist, wenn dem ein massiver Gegenschlag entgegensteht. Und er kam zu dem Schluss, dass es sich um einen Fehlalarm handeln muss. Davon ließ er sich auch nicht abbringen, als der Satellit kurz hintereinander noch eine zweite, dritte, vierte und fünfte abgefeuerte Rakete meldete. Nach Meinung amerikanischer Militäranalysten war die Welt niemals wieder so nahe an ihrer atomaren Selbstauslöschung wie in jener Nacht vom 25. zum 26. September 1983. Zwar hätte der diensthabende Oberst nicht die letzte Entscheidungsgewalt gehabt (die oblag dem schwerkranken Andropow), aber er konnte immerhin an entscheidender Stelle eine fatale Ereigniskette, die u. U. unbeabsichtigt zu einem nuklearen Schlagabtausch hätte führen können, noch rechtzeitig unterbrechen. Dass er damit entgegen den Dienstvorschriften recht getan hat, zeigte der folgende Morgen. Denn „Oko“ hatte Reflexionen der aufgehenden Sonne an Wolken in der Nähe der Malmstrom Air Force Base in Montana, wo auch US-amerikanische Interkontinentalraketen stationiert waren, als Raketenstarts fehlinterpretiert. Die Frage, die uns alle angeht, die aber von der Mehrheit der Bevölkerung ignoriert wird, ist die Frage, ob solch eine Situation, die unbeabsichtigt in einen Nuklearkrieg ausarten kann, heute auch möglich wäre. Und diese Frage ist ganz eindeutig und ohne Abstriche mit „ja“ zu beantworten. Solange Kernwaffen mit einer Overkill-Kapazität auf der Welt existieren, bleibt die Gefahr, dass sie auch einmal eingesetzt werden – ob beabsichtigt oder unbeabsichtigt – latent bestehen. Darüber sollte man sich keiner Illusion hingeben. 

Mit dem 21. Jahrhundert kündigen sich unruhige Zeiten an. Globale Finanzkrisen erschüttern den sozialen Zusammenhalt ganzer Staaten, das Bevölkerungswachstum geht mit einer zunehmenden Ressourcenverknappung einher, die Kräfteverhältnisse zwischen den wirtschaftlich entscheidenden Staaten verschieben sich, Feindbilder, die man überwunden glaubte, werden neu gepflegt und auch anachronistische religiöse Konflikte, bei denen tiefstes geistiges Mittelalter auf Moderne trifft, sind kaum mehr beherrschbar. Dazu kommt noch die ständig fortschreitende Vernetzung aller Lebensbereiche mit den Mitteln der Informationstechnologien, die nicht nur offensichtliche Vorteile bringen, sondern auch neue Eingangstore für Terror und Zerstörung mit kaum vorhersagbaren Folgen öffnen. 

Genauso beunruhigend ist, dass sich durch bloße technische Missgeschicke Katastrophen anbahnen können, die eine Eigendynamik entwickeln und sich letztendlich kaum mehr beherrschen lassen. Man denke nur an die versehentliche Freisetzung eines als biologische Waffe konzipierten letalen Krankheitserregers oder an einen Softwarefehler, der vielleicht eine chemische Fabrik a la Bhopal in die Luft fliegen lässt. Und hier lassen sich noch viele Beispiele finden. 

Ein Begriff, der in diesem Zusammenhang immer wieder zu hören ist, ist der Begriff der „Sicherheitslücke“. Manche Softwarefirmen kommen gar nicht mehr hinterher, derartige „Sicherheitslücken“ zu schließen, wie sie von ambitionierten Hackern gefunden und gnadenlos ausgenutzt werden. Solange sie nur den heimischen PC betreffen, sind sie vielleicht noch verschmerzbar. Wenn sie aber Einfallstore in wichtige, lebenserhaltene Systeme wie die der Energiewirtschaft oder in militärische Systeme ermöglichen, dann reicht ein einziger Irrer mit der Einstellung von Leuten aus, die heute mit Computerviren die Welt verseuchen, um Katastrophenszenarien wahr werden zu lassen, von denen man eigentlich nichts Näheres wissen möchte. Von allen globalen Katastrophen, die uns heimsuchen können (Meteoriteneinschläge, Supervulkanausbrüche), sind die selbstfabrizierten die bei weitem Wahrscheinlichsten. 

Und hier zeigt sich ein interessantes Phänomen, welches die Risikowahrnehmung betrifft. Risiken werden nämlich immer inhärent subjektiv empfunden. Objektiv lässt sich dagegen ein Risiko beispielsweise durch eine Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensbilanz quantifizieren. So kann es sein, dass man als Individuum ein objektiv unwahrscheinliches Ereignis (Flugzeugabsturz) als ein größeres Risiko wahrnimmt als der bedeutend wahrscheinlichere Fall, Opfer eines Verkehrsunfalls zu werden. Diese Diskrepanz zwischen Risikowahrnehmung und objektivem, genau quantifizierbaren Risiko ist mittlerweile auch ein probates Mittel politischer Einflussnahme geworden. Ein schönes neues neudeutsches Wort, an dem auch die Brüder Grimm sicherlich ihre Freude gehabt hätten und dass diesen Sachverhalt wie die Faust aufs Auge beschreibt, ist „German Angst“. Der größte Feind des Deutschen scheint nähmlich z. Z. neben dem „Gen“ und dem Kohlendioxidmolekül das „Atom“ zu sein. Grüne Indoktrinationen haben hier fern jeder Objektivität ganze Arbeit geleistet. Das ist immer dann verhängnisvoll, wenn reine Ideologie auf Defizite im Bildungssystem stößt. 

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