Die Tollwut als Wurzel der Homöopathie

Desmodus rotundus (Foto Wikipedia)

Der gebildete Mensch weiß natürlich, dass es auf der Welt durchaus "echte" Vampire gibt, die sich gänzlich unvegetarisch lediglich von Blut ernähren – nämlich die amerikanischen Vampirfledermäuse (Desmodontinae). Sie sind bei den dortigen Farmern nicht gern gesehen, da sie sich des Nachts auf Weidetiere niederlassen und ihnen kleine Wunden zufügen, aus denen Blut fließt, welches sie dann wiederum aufschlecken bzw. einsaugen. Ein Antigerinnungsmittel in ihrem Speichel verhindert, dass das Blut schnell gerinnt und ein „Narkosemittel“, dass das Tier (meist ein Rind) davon möglichst nichts bemerkt. 

Von den drei bekannten Vampirfledermausarten fällt nur ab und an der „Gemeine Vampir“ auch mal einen Menschen an. Aber dass er ihn dabei gänzlich aussaugt, wie man es den untoten Vampiren a la Dracula nachsagt, ist natürlich eine Mär. Pro Mahlzeit nimmt eine derartige Fledermaus lediglich um die 20 Milliliter Blut auf (entspricht ungefähr dem Inhalt eines kleinen Hühnereis), welches es dann anschließend erst mal in Ruhe verdauen muss. Der Blutverlust, den Mensch und Nutztier durch Fledermausbesuche erleiden, ist deshalb relativ unbedenklich.

Was nicht unbedenklich ist, ist die unerfreuliche Tatsache, dass Vampirfledermäuse ideale Überträger der fast immer tödlich verlaufenden Tollwut sind. Man schätzt, dass pro Jahr deswegen weit über 50.000 Rinder und um die 20 Menschen allein in Brasilien an dieser äußerst gefährlichen Virusinfektion sterben. In Deutschland scheint diese Krankheit (soweit es nicht um die spezielle Fledermaus-Tollwut handelt) seit 2008 ausgestorben zu sein, was wiederum zu den eher erfreulichen Nachrichten gehört. Denn gegen die Tollwut gibt es bis heute keine Heilmittel die helfen, sobald die Krankheit einmal ausgebrochen ist. Man kann sich aber durch eine vorbeugende Impfung dagegen schützen. 

Oder aber durch homöopathische Mittelchen, wie schon vor über 170 Jahren der berühmte Homöopath Constantin Hering (1800-1880) herausgefunden haben will und wie die Werbung von diversen „Naturheilkundlern“ großmundig verspricht. Auf seine „Heringsche Regel“ berufen sie sich noch heute (neben dem sogenannten „Ähnlichkeitsgesetz“), um ihrer Lehre so etwas wie einen wissenschaftlichen Anstrich zu verleihen. 

Aus der Beobachtung heraus, dass tollwütige Katzen oder Hunde (aber auch Menschen) mit zunehmendem Krankheitsverlauf eine Angst vor Wasser entwickeln, kam C. Hering 1833 auf die geniale (im wirtschaftlichen Sinn!) Idee, Hundespeichel (der ja auch flüssig ist) entsprechend zu verdünnen, um daraus eine „Tollwut-Nosode“ zu machen, die nicht nur in der Tierheilkunde, sondern auch in der „Naturheilkunde“ eingesetzt werden kann. Denn wie jedes homöopathische Arzneimittel wirkt es universell gegen alle möglichen Gebrechen, so gegen Tollwut, Epilepsie, Hydrophobie (!), Kopfschmerzen, Arthritis … Harnwegsinfektionen, allgemeine Phobien, bei Frauen Scheidenkrämpfe sowie, man höre und staune, sogar gegen Zorn- und Wutausbrüche à la Klaus Kinsky etc. pp. Auch hier kommt es natürlich in erster Linie auf die Verdünnung an. Denn je weniger Wirkstoff das Mittelchen enthält (hier Hundespucke), desto größer die Wirkung und desto teurer das Präparat. 

Diese Wirkungssteigerung erzielt der erfahrene Homöopath bekanntlich durch den Akt des „Potenzierens“. Darunter versteht man den Vorgang, eine „Ursubstanz“ auf eine bestimmte Art und Weise entweder mit destilliertem Wasser, Milchzucker oder Ethylalkohol immer weiter zu verdünnen, bis der gewünschte Verdünnungsgrad erreicht ist. Eine gängige Maßeinheit dafür ist die D-Potenz (Dezimalpotenz). Sie sagt aus, dass bei jedem Arbeitsschritt immer auf 1/10 verdünnt wird. Die Potenz D21 entspricht dann (d. h. nach 21 entsprechenden Verdünnungsschritten) bereits einer Verdünnung von 1 zu einer Trilliarde – eine übrigens durchaus übliche Verdünnung „homöopathisch“ wirksamer Substanzen. 

Aber was bedeutet das eigentlich? Um das Herauszufinden, empfehle ich folgenden kleinen unkomplizierten Versuch, vielleicht begleitet mit ein paar elementaren Rechnungen mit einem Taschenrechner. Denn nach der reinen Lehre soll sich ja die Wirkung einer homöopathischen Substanz erhöhen, je mehr man sie verdünnt. Als Einheit verwenden wir hier sogenannte C-Potenzen, wo bei das „C“ für „Centesimalpotenzen“ steht, denn in diesem Fall wird bei einem Schritt genau auf 1/100 verdünnt. Die Zutaten sind etwas Prima Sprit (oder ein hochprozentiger Schnaps wie beispielsweise der berüchtigte 80%ige Stroh-Rum) sowie 1,2 Liter Leitungswasser (wenn Sie das Leitungswasser zuvor noch in gesundes und vitales Bergquellwasser umwandeln möchten, dann empfehle ich Ihnen den VitaJuwel-Edelsteinstab für schlappe 49,90 € zum umrühren und gleichzeitigem „Vitalisieren“ des Wassers à la Grander). Als Equipment benötigen wir außerdem noch 12 normale Trinkgläser (wir wollen uns nur bis zu einer C12-Potenzierung des Alkohols vorwagen), die alle jeweils mit 1/10 Liter Wasser gefüllt werden. Des Weiteren wird noch eine Pipette benötigt, die es erlaubt, jeweils 1 Milliliter (=1/1000 Liter) Flüssigkeit aufzunehmen.

Und nun kann der Versuch beginnen. Man fülle die Pipette als Erstes mit 1 Milliliter Schnaps und übertrage deren Inhalt in das erste Wasserglas, welches man anschließend jedoch nicht schnöde umrühren, sondern auf eine bestimmte Art und Weise schütteln sollte (man erinnere sich, nach Johann Grander hat Wasser ein „Gedächtnis“, das sich durch artgerechtes Schütteln auffrischen lässt). Danach entnimmt man mit der genannten Pipette eine Probe von wiederum 1 Milliliter aus dem ersten Wasserglas und entleere sie in das zweite Wasserglas (schütteln nicht vergessen!). Dann entnimmt man eine Probe aus dem zweiten Wasserglas und entleert es in das Dritte. Diesen Vorgang müssen sie nun solange wiederholen, bis sie im 12. Wasserglas endlich die gewünschte C12-Potenzierung des Schnapses erreicht haben. Und dann zum Wohl! Aber Vorsicht, denn laut der homöopathischen Lehre sollte sich jetzt ein viel stärkeres „beschwipst sein“ einstellen als beim Genuss der gleichen Menge „Ursubstanz“. Probieren Sie es einfach aus, denn Empirie siegt doch gewöhnlich über Theorie. 

Doch was bedeuten diese Verdünnungsstufen nun ganz konkret, quasi „naturwissenschaftlich“ nachgefragt. Hier hilft der Taschenrechner weiter. Und damit ergeben sich folgende, durch Vergleiche etwas anschaulicher gemachte Ergebnisse: C1-Potenzierung – eine Flasche Schnaps verdünnt mit dem Inhalt einer Badewanne; C2-Potenzierung – eine Flasche Schnaps verdünnt mit dem Inhalt eines Tankwagens voller Wasser; C3-Potenzierung – eine Flasche Schnaps verdünnt mit dem Wasserinhalt eines Schwimmbeckens; C4-Potenzierung – eine Flasche Schnaps, verdünnt mit dem Inhalt eines mit Wasser beladenen Großtankers; C5-Potenzierung – eine Flasche Schnaps gekippt in den Erie-See; … ; C9-Potenzierung – eine Flasche Schnaps in den Ozean gekippt; … C12-Potenzierung – eine Flasche Schnaps verdünnt in Wasser mit dem Volumen des Planeten Jupiter. Ob man davon wirklich noch besoffen wird? Immerhin ist die Chance, eine ziemlich große Menge Ethylalkoholmoleküle aus der „Ursubstanz“ im letzten Wasserglas zu finden, noch durchaus gegeben. Aber bei C12 macht natürlich kein echter Homöopath halt. Erst ab C24 kann man wirklich sicher sein, dass das Wasserglas nicht mal mehr ein Ethylalkoholmolekül aus der ersten Pipette enthält. Aber C75 sollte es schon sein – eine Flasche Schnaps verdünnt in Wasser mit dem Volumen unseres überschaubaren Universums! Gebräuchliche C-Potenzen in der Homöopathie sind übrigens C6, C12, C30, C200 und C1000. Bei manchen Gebrechen ist es aber durchaus angesagt, noch höhere Potenzen eines geeigneten homöopathischen Mittels zu verschreiben. Hier werden häufig die C10.000 und die C100.000 verwendet. Man sagt, solche hohe Potenzen arbeiten auf einer besonders tiefen geistigen Ebene. Und dem kann man nach dem eben gesagten eigentlich nur beipflichten. 

Jetzt versteht man auch, warum homöopathische Mittel nicht unter die Arzneimittelgesetze sondern nur unter die Lebensmittelgesetze fallen. Denn etwas, was keine oder so gut wie keine Wirkstoffe enthält, kann nach allen menschlichen Erfahrungen auch nicht gegen oder auf irgendetwas „wirken“. Aber es ist natürlich jedem unbenommen, an eine derartige „Wirkung“ zu glauben (was aber bei Haustieren offenbar so nicht funktionieren kann, obwohl Tierärzte gern einmal ein paar „Globuli“ für Hund und Katze für teures Geld verkaufen). Wenn Sie also bei einem Urlaub in südliche Gefilde (insbesondere Balkan und Türkei sowie außerhalb Europas beispielsweise Marokko) zufällig von einem Hund gebissen werden, sollten sie eher eine schnelle Impfung gegen Tollwut in Erwägung ziehen als stattdessen „Tollwut-Nosode“ zu schlucken. Wenn sie im letzteren Fall überleben sollten, können sie sicher sein, dass es nur daran gelegen hat, dass der „Hund“ gar nicht tollwütig war. Denn man ist bei einer erfolgreichen Infektion gewöhnlich, beginnend mit dem ersten Auftreten der Tollwut-Symptome, innerhalb von 7 Tagen mit so gut wie 100 prozentiger Sicherheit tot. 

Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass es neben dem hoch infektiösen Rabiesvirus, dem Verursacher der Tollwut, noch eine nicht pathogene Form von ihm gibt. Auch sie kann sich entlang der Nervenbahnen bis in das Gehirn hangeln, nur dass sie dort keine tödlich verlaufende Gehirnhautentzündung hervorruft. Das nutzen übrigens einige Gehirnforscher aus, um damit die neuronale Verschaltung bestimmter Gehirnabschnitte aufzuklären. Und gerade hier gibt es noch sehr viel zu erforschen.

Hinweis: selbstverständlich kenne ich den Placebo-Effekt. Er wirkt auch anderweitig, d. h. ohne homöopathische Globuli (man muss nur daran glauben). Eine interessante Methode, die hier und da kolportiert wird, ist das dreimalige hinwegspringen über eine tote Katze... (möglichst schwarz).



Rückfall ins Mittelalter (Spiegel, 2010)


oh sancta simplicitas...



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