Warum gibt es bei uns Vogelarten, die man an ihrem Aussehen kaum unterscheiden kann - so wie Fitis- und Weidenlaubsänger?


Ist dieser hier ein Weidenlaubsänger (Zilzalp) oder doch eher ein Fitislaubsänger (Fitis)?


Oder ist es eher umgekehrt?  Finden Sie es heraus! (Bild anklicken)

Es gibt bei uns eine ganze Reihe von Singvogelarten, die kann man zu Angesicht kaum oder auch so gut wie gar nicht auseinander halten - so wie den Fitislaubsänger und den Weidenlaubsänger (Zilpzalp) oder den Garten- und den Waldbaumläufer. Wenn man sie aber singen hört, wird die Identifikation zum Kinderspiel - vorausgesetzt, man hat ihre "Lieder" im Ohr. Das gilt auch für die Nachtigall und den Sprosser und für das Winter- und das Sommergoldhähnchen (wobei letztere anhand ihrer typischen Kopfzeichnung durchaus unterscheidbar sind). Die Frage, die ich hier stellen und zugleich auch beantworten möchte ist - warum ist das so? 

Schauen wir uns dazu einmal den Waldbaumläufer (Foto) und den Gartenbaumläufer an, zwei Vogelarten, die eigentlich gar nicht so selten sind und die man aber trotzdem kaum einmal zu Gesicht bekommt. Hört man dagegen ihren Gesang, dann sind sie mit etwas Übung durchaus zu unterscheiden.

Aufnahme Rainer Gründel

Andernfalls hilft es nur, mit dem Fernglas auf die Unterscheidungsmerkmale zu achten: Der Schnabel des Waldbaumläufers ist etwas kürzer als der des Gartenbaumläufers, Der Oberkopf ist deutlicher, vor allem im Bereich der Stirn, hell längsgestreift Die Unterseite erscheint seidenweiß und ist ohne bräunliche Flanken. An den Flügeln sind die hellen Streifen nicht stufig gestaffelt. Davor sieht man einen größeren eckigen oder runden Fleck. Das sicherste Unterscheidungsmerkmal ist jedoch die Kralle der Hinterzehe. Sie ist beim Waldbaumläufer länger als beim Gartenbaumläufer. 

Sieht man einen Baumläufer irgendwo in unseren westlichen Bundesländern, dann kann man auch ohne Feldstecher fast immer davon ausgehen, dass es sich um einen Gartenbaumläufer handelt. Beobachtet man dagegen einen Baumläufer in Ostpolen, dann ist es sicherlich ein Waldbaumläufer. Bei uns in der Oberlausitz ist es dagegen schwieriger, denn bei uns gibt es beide Arten nebeneinander. Warum das so ist, hängt mit der Artbildung zusammen. Das Stichwort ist hier "allopatrische Speziation". Während der letzten Eiszeit (sie ist vor gerade einmal 10.000 Jahre zu Ende gegangen), als sich das Inlandeis langsam in den mitteleuropäischen Raum hinein schob, wurde der Lebensraum des Baumläufers in zwei Bereiche getrennt. Eine Population überlebte in den Laubwäldern des Mittelmeerraumes, während die andere Population in die Nadelwälder Sibiriens abgedrängt wurde. Durch das Inlandeis konnten sie sich nicht mehr mischen, und so passten sich die einen an Laubwälder und die andere an Nadelwälder an. Die Zeit reichte aber nicht aus, um sich auch phänomenologisch weit auseinander zu entwickeln. Mit dem Schwinden des Inlandeises vor etwas mehr als 10.000 Jahren begannen sich die beiden Populationen wieder zu vereinigen - über den Westen als Gartenbaumläufer und über Osten der Waldbaumläufer. Die allmähliche Klimaerwärmung ermöglichte dem Waldbaumläufer, England zu erreichen, bevor das Meer anstieg. Der Gartenbaumläufer blieb den wärmeliebenden Wäldern verhaftet, so dass er die Landbrücke des Ärmelkanals nicht mehr bezwingen konnte, bevor sie überflutet war. So entstand das Paradoxon, dass die östliche Art England besiedelt hat und die westliche Art nicht. 

Dass sich beide Arten heute nicht wieder mischen, liegt weniger daran, dass es biologisch nicht möglich wäre. Es ist eher ein Kommunikationsproblem. Die Gesänge der beiden Arten haben sich nicht nur zum Vorteil für den Ornithologen auseinander entwickelt. Auch eine Gartenbaumläuferin fühlt sich von dem Gesang eines Waldbaumläufermannes nicht mehr sonderlich angezogen und umgekehrt. Darüber hinaus bevorzugen sie auch noch jeweils andere Lebensräume. Deshalb kommen sie quasi nicht zusammen und bleiben damit unter sich. Das Gleiche gilt natürlich in der gleichen Weise auch für Fitis und Zilpzalp (ersterer eher in Nadelwälder, der andere eher in Laubwäldern, Garten und Parkanlagen zuhause) sowie für Nachtigall (westliche Art) und Sprosser (östliche Art), wobei die letzteren in ihrem Verbreitungsgebiet nur einen schmalen Überlappungsbereich im Bereich der Oder besitzen.

Die allopatrische Speziation (Artbildung) wurde übrigens von Charles Darwin anhand bestimmter Finkenarten (Darwinfinken) der Galapagos-Inseln entdeckt. Sie tritt immer dann auf, wenn Populationen einer Tierart geographisch getrennt werden - das kann im einfachsten Fall bereits ein größerer Fluss sein. Häufiger kommt es dagegen zu Populationstrennungen aufgrund klimatischer Verschiebungen, aufgrund von Gebirgsbildungsprozessen oder durch das nach Süden vordringende Inlandeis einer Kaltzeit. Im Fall der Aaskrähe reichte die Zeit seit der letzten Eiszeit zwar aus, die östliche Art neu einzufärben ("Nebelkrähe"), während die westliche Art kohleschwarz blieb ("Rabenkrähe"). Sie reichte aber nicht aus, um aus beiden Formen zwei unterschiedliche Arten zu machen. Deshalb gibt es entlang der Elbe (dort treffen sich beide Verbreitungsgebiete) auch Mischformen zwischen Raben- und Nebelkrähen.



Wenn Sie also ab Ende März wieder mal einen Zilpzalp in ihrem Garten hören, dann denken Sie doch mal an die Eiszeit und an Charles Darwin...

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