Bewegung gibt es nicht, so sprach der bärtge Weise...


Der infinitesimale Charakter des „Zeitpunktes“ Gegenwart, der die Vergangenheit von der Zukunft trennt, hat bei näheren Hinschauen etwas Problematisches an sich, was als einer der Ersten Zenon von Elea (490-430 v. Chr.) in seiner ganzen Schärfe erkannt hat. Ich meine das „Pfeilparadoxon“. Es ist schnell erzählt: Ein Pfeil fliegt durch die Luft. Zu jedem beliebigen Zeitpunkt verharrt der Pfeil bewegungslos, d. h. der „momentane“ Pfeil gleicht einer einzelnen Fotografie seiner selbst. Die „Zeit“ besteht aber aus einer unendlichen Zahl von Augenblicken, und in jedem Augenblick steht der Pfeil still. Wo ist dann die Bewegung? Zenon schlussfolgerte daraus 

Das Bewegte bewegt sich weder in dem Raume, in dem es ist, noch in dem Raume, in dem es nicht ist.“ 

Man könnte jetzt vermuten, dass die Raumzeit (d. h. Raum und Zeit) eine „körnige“ Struktur hat. Aber auch das führt im Lichte des Pfeilparadoxons zu einer widersinnigen Konsequenz, und zwar zu der, dass der Pfeil zwar in jedem einzelnen Augenblick ruht, in vielen Augenblicken aber eine Bewegung ausführt. Das schließt aus, dass der Pfeil gleichsam von Punkt zu Punkt springt und zwar in der Form, dass er am Punkt A zum Zeitpunkt A verschwindet und zum Zeitpunkt B am Punkt B instantan wieder entsteht. Die Absurdität, die sich aus derartigen Überlegungen ergibt ist die, dass Raum und Zeit demnach weder eine kontinuierliche noch eine diskontinuierliche Struktur besitzen können, also etwas, was dem gesunden Menschenverstand zuwider läuft. Trotzdem, 

Bewegung gibt es nicht, so sprach der bärt‘ge Weise. Der andre schwieg, begann vor ihm zu wandeln…“ 

dichtete einst Alexander Puschkin (1799-1837). 

Es gibt verschiedene Lösungsansätze, das Pfeilparadoxon zu lösen. Der bekannteste ist der auf Augustin Cauchy (1789-1857) zurückgehende Grenzwertbegriff, auf dem bekanntlich die moderne Infinitesimalrechnung beruht. Damit ist das Problem schnell erledigt, denn dann ist es zwar richtig, dass sich „Bewegung“ nicht durch eine Reihe von Momentaufnahmen erfassen lässt. Der Grund dafür liegt darin, dass es nicht ausreicht, immer nur einen Zeitpunkt (Augenblick) isoliert zu betrachten. Wesentlich ist vielmehr der Begriff der Momentangeschwindigkeit, die sich über eine Grenzwertbetrachtung aus einer unendlichen Folge von Durchschnittsgeschwindigkeiten ergibt. Sie hat nur Sinn, wenn man die räumliche und zeitliche Nachbarschaft mit einschließt, denn ohne diese lässt sich Ruhe nicht von Bewegung unterscheiden. 

Die Krux dieser Argumentation liegt aber darin, dass sich der Grenzwertbegriff erst einmal auf einen speziellen mathematischen Raum, bestehend aus einem Punktekontinuum, bezieht. Wer sagt uns eigentlich, dass der physikalische Raum auch wirklich diesem abstrakten mathematischen Raum äquivalent ist? Und hier kommt die Quantenmechanik zur Erklärung des Pfeilparadoxons in Form der Heisenbergschen Ortsunschärfebeziehung ins Spiel, die besagt, dass man niemals Ort und Geschwindigkeit mit beliebiger Genauigkeit zusammen messen kann. Nämlich immer dann, wenn sich der Pfeil zu einem gegebenen Augenblick exakt am Ort A befindet, besitzt er eine sich aus dem Grenzübergang t -> t‘ ergebende Momentangeschwindigkeit v. Je genauer nun der Ort A lokalisiert ist, desto unbestimmter ist offensichtlich v (was natürlich auch umgekehrt gilt). Im Gegensatz zur Argumentation des Eleaten, der ja behauptet, dass der Pfeil in einem gegebenen Augenblick im Ort A ruht, besagt die Quantenmechanik, dass der Pfeil im Punkt A überhaupt keine definierbare Geschwindigkeit besitzt.

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